Digitale Musikedition
Wie Joachim Veit Achtung hier Auslassung konstatierte, ist »trotz der Tatsache, dass in der alten und neuen MGG ›Edition‹ nicht in den Rang der Wissenschaft gehoben, sondern als ›Editionstechnik‹ aufgenommen ist, [...] ›Edition‹ heute neu zu verstehen und [...] ›jenseits der bloßen Notenerstellung‹ [zu] suchen, damit von ihr wieder neue Impulse für die Forschung ausgehen können.« (Veit, 2018 , S. 2). So heterogen sich die Landschaft der Musikedition derzeit auch gestaltet, so auffällig ist es doch, dass die Mehrheit der zahlreichen Vorhaben inhaltlich »nach wie vor im Bereich der ›herkömmlichen‹ Gesamt- und Denkmalausgaben in ›mehr als 30 Forschungsinstituten‹ angesiedelt« ( Acquavella-Rauch, 2019 , S. 2) ist.
Trotz aller Neuerungen der vergangenen Jahre im Bereich der Darstellungsweise steht inhaltlich weiterhin nicht nur der Bereich der sogenannten ›klassischen‹ Musik im Zentrum des Interesses, sondern auch die Arbeit von vom Kanon der ›westlichen‹ Musik als bedeutend angesehenen Komponisten (vgl. beispielsweise die 19 von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz geförderten Großvorhaben). Wenige Ausnahmen fokussieren editorisch auf andere Aspekte – etwa gattungsbezogene, regionalgeschichtliche und kulturwissenschaftliche Fragestellungen: das Akademievorhaben OPERA – Spektrum des europäischen Musiktheaters, die Reihe Musik am Mittelrhein und die Notenausgaben der Forschungsstelle südwestdeutsche Hofmusik. Bisher unbeachtet bleibt in diesem Bereich die populäre Musik (vgl. Grotjahn & Iffland, 2018) – abgesehen von einigen Operetteneditionen wie etwa die Johann Strauss-Gesamtausgabe.
Die gegenwärtigen technischen Möglichkeiten der digitalen Musikedition basieren daher auch sogenannter ›klassischer‹ – und damit unter Inkaufnahme von Medienwechseln – verschriftlichter Musik. (Digitale) Musikedition folgt daher nach wie vor den Verfahren der Textwissenschaften (vgl. Kepper, Schreiter & Veit, 2014; Kepper, 2011 ) – auch wenn es erste Entwicklungen in Richtung Klangdokumente gibt (Münzmay & Siegert, 2019).
Als Standardsoftware für dieser Art der digitalen Musikedition hat sich in den vergangenen Jahren die Verwendung von Edirom etabliert, wobei der zu edierende Text üblicherweise xml-basiert codiert wird. Die Music Encoding Initiative (MEI) und die Text Encoding Initiative (TEI) sind inzwischen zum editorischen Standard avanciert, der stetig erweitert und an neue Anforderungen anpasst wird. Letzte für das geplante Projekt interessante Entwicklungen, die eine mediale Erweiterung der Edirom in den Blick nehmen, finden sich beispielsweise in der Arbeit des Zentrums Musik – Edition – Medien (ZenMEM) und in der Dokumentation des Projekts Freischütz digital , wo mit Hilfe verschiedener Werkzeuge versucht wurde, auch auditive Medien zu inkorporieren. Neben der Track Segmentation , der Synchronisierung von auditiven Signalen und Noten sowie der Erkennung von gesprochenen und gesungenen Passagen handelt es sich dabei auch um das Processing von Multitrack-Aufnahmen .
Im Bereich der Musikinformatik gibt es des Weiteren Arbeiten zum Processing und zur Analyse verschiedener Arten – Text, Audio und Video – der Musikrepräsentation (Liem, Müller, Eck, Tzanetakis & Janjalic, 2011; Mauch, Fujihara, Yoshii & Goto, 2011; Müller, Goto & Schedl, 2012), während die Soziologie mit der Software MAXQDA bereits in Ist-Zeit arbeitende Annotationssysteme für Video entwickelt hat, die nutzbare Werkzeuge für mit ethnographischen Methoden zu erhebende Daten des miterlebten Schaffens eines Musikstückes bieten.
In Modul 3 des Projekts wurde ausgetestet, inwiefern eine Schnittstelle für audiovisuelle Medien in der etablierten Musikeditionssoftware Edirom sinnvoll für eine etwaige Integration der mit ethnographischen Verfahren in Modul 2 erhobenen Daten implementiert werden kann. Außerdem wurde an einer Möglichkeit zur Codierung eines spezifischen Phänomens der Stimmbenutzung in MEI gearbeitet. Ferner wurden weiterführende Überlegungen zur Editionsfähigkeit von nur klanglich vorliegenden Quellen zum musikalischen Schaffensprozess sowie zur Edition nicht verschriftlichter Musik angestellt und zusätzliche technische Möglichkeiten ausgelotet (siehe Ergebnisse).